Einführung zur Stadtgeschichte Forst (Lausitz)
Über Jahrhunderte war Forst ein beschauliches Handwerkerstädtchen an der Neiße. Aber immerhin drei Schlösser zählte die um 1265 gegründete Stadt. Denn sie war Mittelpunkt einer großen Adelsherrschaft, der Herrschaft Forst-Pförten, die sich beiderseits der Neiße erstreckte und zu der an die 60 Dörfer und zahlreiche Vasallengüter kleiner Adliger gehörten. Das mächtige Herrengeschlecht der Biberstein residierte in Forst rund 300 Jahre lang, von etwa 1380 bis zu seinem Aussterben 1667.
Schafe und Kohle, ein Graf und Herr Groeschke setzten die Stadt schließlich unter Dampf. Schafzucht war schon in vorindustriellen Zeiten in der Lausitz verbreitet und lieferte den Rohstoff für die Tuchfabrikation. Der berühmte Heinrich Graf von Brühl, kursächsisch-polnischer Premierminister, als Nachfolger der Bibersteiner Herren auch Stadtherr von Forst, errichtete im Stadtschloss 1744 einen ersten Großbetrieb zur Tuchherstellung, die Gräflich-Brühlsche Tuchmanufaktur. Hier kamen nach 1800 auch die ersten, zunächst noch mit Wasserkraft betriebenen Maschinen zum Einsatz, bis 1844 die Dampfmaschine in Forst Einzug hielt. Die nahegelegenen Braunkohlegruben, z. B. rund um Döbern, dienten den Forster Fabrikbesitzern fortan als günstige Energiequelle.
Um 1930 qualmte, zischte und ratterte es an allen Ecken und Enden der Stadt. Märkisches und sogar Deutsches Manchester nannten die Forster ihre Stadt. 1872 war Forst an die Bahn angeschlossen worden, seitdem wuchs die Stadt noch schneller. Günstige, gemusterte Tuche für Oberbekleidung, Buckskin genannt, waren ihr Markenzeichen. Die Produktion dieser Stoffe nach englischem Vorbild hatte schon um 1840 ein findiger Forster Tuchmacher, August Groeschke, gegen den Widerstand seiner Zunft in Forst eingeführt. Zeitweilig arbeiteten um 90% der Beschäftigten der Stadt in der "Tuchbude", wie die Textilfabriken im Volksmund hießen. Forst war eine Arbeiter- und Fabrikantenstadt. Die prächtigen Villen der Avellis, Cattien, Pürschel, Bremer, Rüdiger, Scobel und anderer stehen noch immer neben ihren ehemaligen Fabriken. Forst wurde zur bedeutendsten Tuchstadt der Niederlausitz. Man produzierte nicht nur für den deutschen Markt – um 1930 kam statistisch auf jeden fünften Einwohner Deutschlands ein Anzug aus Forst –, sondern Forster Tuche wurden auch bis nach Amerika exportiert. Ein ganz besonderes Dampfross, die Forster Stadteisenbahn, im Volksmund liebevoll "Schwarze Jule" genannt (obwohl sie eigentlich grün war), schmauchte ab 1893 auf 24 km Gleislänge durch die Stadt, um Kohle und Rohstoffe zu den Fabriken und fertige Waren zurück zum Bahnhof zu bringen. Die einzige erhaltene Lok der Stadtbahn harrt derzeit im gründerzeitlichen Gerätehaus der Feuerwehr auf ihre dauerhafte Neupräsentation im Textilmuseum in der Sorauer Straße.
Erholung von der Industriearbeit boten die zahlreichen Kleingärten in der Stadt, die Neißeaue und insbesondere der Forster Rosengarten. Der Besuch des Zeppelins "Hansa" gehörte zu den Höhepunkten der Gründungsausstellung des Parks im Sommer 1913. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm Forst erneut Aufschwung, ablesbar an zahlreichen herausragenden modernen Bauten und insbesondere der Bebauung der Neißeufer. 1945 schien das Ende gekommen: Forst wurde stark zerstört, die Reste der Neißebrücken zeugen bis heute davon. Aber noch bis 1989/90 produzierten die Forster Fabriken, nach mehreren Enteignungswellen im "VEB Forster Tuchfabriken" zusammengeschlossen, Textilien für den COMECON-Wirtschaftsraum. 1992 war endgültig Schluss, für Forst begann eine lange, noch anhaltende Phase des Strukturwandels. Ein Teil der Fabriken wird heute nachgenutzt, als Wohnungen, als Geschäftsräume, als Museum und als Landratsamt. Andere Industriedenkmäler harren ihrer Neuentdeckung durch kreative Köpfe ...
(Verfasser: Dr. Jan Klußmann, Leiter Stadtarchiv Forst-Lausitz)